Rudi Kölmel im Juni 2018 i.d.F. v. 22.06.2018

 

Wie Rousseau und Hobbes den Menschen im Naturzustand sehen

 

 

Für mich waren beide Sichtweisen hinsichtlich der Frage, wie sie den Menschen im Urzustand und in der sich entwickelnden Gesellschaft sehen, von besonderem Interesse.

 

Ich sehe das so, dass Rousseau hinsichtlich seines Bezuges zum Naturzustand der Antipode, das Gegenteil, zu Hobbes ist.

 

Weshalb?

 

Hobbes

 

Hobbes sieht den berühmten „Krieg aller gegen alle,“ ausschließlich in der Phase des Naturzustandes wegen der Bosheit und der Aggresivität der Menschen. Aus diesem Krieg im Naturzustand entwickelt der Mensch die Fähigkeit zur vernunftsmäßigen Einsicht der Notwendigkeit eines verbindlichen Gesellschaftsvertrages, in dem sich die Individuen einem omnipotenten absoluten Herrscher unterwerfen, der den Individueen die körperliche Integrität und die Eigentumsrechte sichert.
Mit dem Heraustreten aus dem Naturzustand ist der bellum omnium contra omnes, der Krieg aller gegen alle, damit beendet.

 

Rousseau

 

setzt sich von Hobbes deutlich ab, denn bei ihm ist das Heraustreten aus dem Naturzustand, insbesondere die Einführung des Eigentums gerade die Bedingung für den sich dann entwickelnden Kriegszustand.

 

Wo schreibt Rousseau das?

 

Jedenfalls im „contract social, Gesellschaftsvertrag von 1762 äußert er sich zum Naturzustand nahezu gar nicht, sondern in dem 7 Jahre vorher im Jahre 1755 erschienenen „Discours sur l’inégalité“, seiner Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen.

 

Rousseau kritisiert darin bereits in den Einleitungen Grotius, Hobbes und Locke.

 

Grotius hat er vorgeworfen, nicht gezögert zu haben, dem Menschen im Naturzustand den Begriff von Recht und Unrecht zu unterstellen, ohne sich um den Nachweis zu kümmern, dass er diesen Begriff gehabt haben müsste (Grotius 1625, Du Droit de la guerre et de la paix, Erster Teil, Anmerkung 21).

 

Locke hat er vorgeworfen, von dem Naturrecht geredet zu haben, nachdem jeder befugt sei, alles behalten zu können, was ihm gehöre, ohne erklären zu müssen, was sie unter „gehören“ verstehen (Locke 1689, The second Treatise of Government, II, §6).

 

Hobbes hat er vorgeworfen, dass er von vornherein dem Stärkeren die Macht über die Schwachen einräumt und gleich von einer Regierung redet, ohne die Zeit zu bedenken, die vergehen musste, ehe der Sinn der Wörter „Macht“ und „Regierung“ unter den Menschen vorhanden sein konnte (Hobbes 1642, De Cive, I,14).

 

Kennzeichnend für sein Werk, also für mich der rote Faden, ist seine Auffassung, dass die Etappen der fortschreitenden Vergesellschaftung einhergehen mit den Stufen einer moralischen Verfallsgeschichte.

 

Dabei hat er zwei Seelen in seiner Brust. Er sieht in dem dem Menschen zugeordneten Begriff „perfektibilitè einen philosophisch-anthropoligischen Denkplatz, in dem er dem Menschen eine nahezu unbeschränkte entwicklungsgeschichtliche Fähigkeit zum zivilisatorischen Fortschritt zubilligt.

 

Gleichzeitig sieht er dies aber als Pathogenese der bürgerlichen Gesellschaft. Dabei will er sich von Hobbes eben bewusst dadurch abgrenzen, dass der von diesem gesehene Kriegszustand bzw. der Zustand der ständigen Kampfbereitschaft erst im Laufe einer verfehlten Entwicklungsgeschichte der Menschheit eingetreten ist.


Faszinierend ist seine Argumentation, dass er Hobbes eine Verwechslung unterstellt. Dieser habe nämlich mit seiner Beschreibung den Menschen der damaligen Zeit charakterisiert und anscheinend geglaubt, den Naturmenschen beschrieben zu haben.

 

Genau aus diesem Grunde favourisiert er den Naturzustand im Ersten Teil wie folgt:

 

„Ziehen wir vor allem nicht mit Hobbes den Schluss, dass der Mensch von Natur aus böse sei, weil er keine Vorstellung von Güte hat; dass er lasterhaft sei, weil er dieTugend nicht kennt; dass er seinen Mitmenschen stets die Dienste verweigere, die er ihnen nicht zu schulden glaubt; noch dass er sich aufgrund des Rechts, welches er sich mit gutem Grund hinsichtlich der von ihm benötigten Dinge zuspricht, närrischerweise einbilde, der alleinige Eigentümer des Weltalls zu sein. Hobbes hat sehr gut den Fehler aller modernen Definitionen des Naturrechts gesehen, aber die Folgerungen, die er aus seiner Definition zieht, zeigen, dass er sie in einem Sinn versteht, der nicht weniger falsch ist, Beim Nachdenken über die Prinzipien, die er festlegt, hätte dieser Autor sagen müssen,, dass der Naturzustand,, insofern er derjenige Zustand ist, in die die Sorge um unsere Erhaltung an wenigsten die anderer beeinträcht, folglich dem Frieden am zuträglichsten und dem Menschengeschlecht am angemessensten ist.

 

So, damit hatte er es ausgesprochen, damit haben wir den Antipoden zu Hobbes, der im Leviathan im Jahre 1651, also 94 Jahre früher, genau das Gegenteil beschrieben hat.